Ennio singt seine neuen Songs und ich schreibe in meine Notizen „Blitzlicht: Banger“

Ob Zufall oder nicht, plötzlich finde ich mich zum dritten Mal dieses Jahr vor einer Bühne, auf der Ennio spielt – ob das als Qualifikation für eine umfassende Berichterstattung ausreicht, ist debattierbar.  

Mit einer Stimme, von der ich mir jede Gute-Nacht-Geschichte vorlesen lassen würde und eldoradio*-Reporter Jonas Hildebrandt an meiner Seite, gehen anderthalb Stunden schnell vorbei.

Aber zurück zum Anfang: Es ist Dienstagabend, das FZW bis zum Rand gefüllt und ein Großteil der Bühne noch verdeckt von einem riesigen weißen Vorhang. Nur ein schmaler Streifen davor bietet Platz für zwei Mikrofone, einen Laptop und den Voract: Punkt 20 Uhr stürmt Kasi mit seinem Produzenten und kongenialen Partner Antonius im Schlepptau die Bühne. Eine halbe Stunde lang spielen sie ihre Songs, die teils munter vom Publikum mitgesungen werden. Warmwerden für Ennio mit Hits wie „Sommernacht“ und „Vielleicht in einem Jahr“, einem viel bejubelten Cover von „Nur ein Wort“ und dem unveröffentlichten Song „Immatrikuliert“. Und dann verschwinden die beiden wieder von der Bühne. Auf dem Vorhang erscheint ein QR-Code zu einem Gewinnspiel, bei dem meist nicht mehr drin ist als lustige WhatsApp-Sticker von Ennio selbst. Die Wartezeit vertreibt es trotzdem.  

Und dann erscheint Ennio – nicht auf der Bühne, aber immerhin digital auf dem Vorhang. Fünf Minuten Kino-Atmosphäre. Im Intro-Film befragt Ennio die A-Prominenz des deutschsprachigen Indies auf der Suche nach dem perfekten Auftritt. Jeremias, Provinz und Majan raten ihm eins: Lass den Vorhang fallen und spiel deinen größten Banger zuerst. Gesagt, getan und mit „König der Nachbarschaft“ vergehen auch keine zehn Sekunden, bis sich der erste Moshpit formt.
 
Eins kann man sagen: Auf dem Konzert bekommt man genau, was man erwartet –  selbe Stimme - selbe Stimmung, nur nochmal schöner umgeben von vielen textsicheren Menschen.
Ennio hat es geschafft, ein Ensemble an Musikern mit sich auf die Bühne zu ziehen, die die Show noch einmal auf ein anderes Level erheben: Helena Niederstraßer an den Drums, die es bisher auf jedem von uns gesehenen Auftritt geschafft hat, in kürzester Zeit zum Publikumsliebling zu werden und Martin Baumgartner, dessen Gitarrensolo viel zu wenig Liebe abbekommen hat. Neu dabei ist auf dieser Tour auch Sarah Elena Esser, die direkt nach ihrer Vorstellung einen Blumenstrauß in ihre Richtung geworfen bekommt – und mit ihr geht es voller Energie weiter.

Neben „König der Nachbarschaft“ (dem „größten Banger zuerst“), „Kippe“ (dem Crowd-Favoriten) und „Nirvana“ (dem Schunkelsong) gab es vier unveröffentlichte Songs, dessen Titel noch nicht verraten wurden. Außer „Blitzlicht”, ein Name, der dem Publikum durch die blitzende Lichtershow ins Gehirn gebrannt wurde. Und dadurch, dass es ein extrem guter Song ist, der jetzt erst mal fiebernd erwartend abgewartet wird.  

Genauso wie „Ich hasse dich so sehr /Warum lieb ich dich so sehr“ und der von Ennio erkorene Party-Banger „Die Geister, die ich rief“. Alles Songs, so, wie man sie von ihm kennt, Melodien und Texte, die man glücklich, traurig, wütend und auf jeder zweiten Indie-Studi-Party hören kann. Als Nachfahre von „Nirvana“ wird dann bald ein weiteres weniger Moshpit-geeignetes Lied geboren: „Mit dem Kopf durch die Wand“ erreicht auf der Melancholie-Skala erfolgreich hohe Zahlen.
 
Und dann ist Ennio plötzlich weg, verschwunden von der Bühne. Ohne Ankündigung, zu früh, um das Konzert zu beenden. Seine Band ist noch da, spielt unbeirrt weiter sanfte Melodien. Nach wenigen Minuten schallt die tiefe Stimme plötzlich wieder durch den Raum. Die Köpfe drehen sich hastig Richtung Ausgang und tatsächlich: Ennio ist wieder aufgetaucht. Auf einer zweiten Bühne zwischen Bar und Ausgang – oder besser gesagt, auf einem kleinen quadratischen Block, der Ennio von unten anstrahlt. Jubel und gezückte Handys bei den Fans um ihn herum, die wohl nicht erwartet hatten, ihn an diesem Abend noch so nah zu erleben. Nach zwei Songs geht’s für Ennio zurück auf die große Bühne, wo er seine eher ruhigen Songs am Klavier spielt, bevor er den letzten Song ankündigt. Der ist noch unveröffentlicht – und natürlich nicht wirklich der letzte des Abends.  

Nach dem obligatorischen ersten Ende, der selbstverständlichen Zugabe-Zurrufung und dem oh so unerwarteten Wiedererscheinen endete das Konzert (dieses Mal wirklich) mit dem größten Banger zuerst, allem voraus aber mit einem stilvollen Übergang aus Mando Diaos „Dance with somebody“, ein bereits veröffentlichtes Cover, dass zumindest die Fans erfreuen sollte, die Ennio aus seinen englisch-singenden-pre-Ennio-Zeiten als „Emotional Club“ vermissen. Aber auch für post Emotional Club-Fans war das Lied nochmal die Möglichkeit, die Stimmbänder irreversibel zu schädigen.  

Und dann ist es wieder Zeit, zu gehen, auch, wenn die meisten sich an diesem Abend wahrscheinlich Unendlichkeit wünschen würden. Vielleicht brauchen wir noch ein weiteres Konzert, um all das kritischer und reflektierter zu betrachten – nein sagen würde keiner von uns.  

Ob Konzert oder Festival, viel zu kleiner Bühne oder stehender Hitze - ein Ennio-Auftritt sorgt für ein kräftiges Bein-Workout und für eine Stimme im Nachhinein, die an einen leidenschaftlichen Kettenraucher erinnert.

Text: Alea Becker & Jonas Hildebrandt (eldoradio*)

Foto: Jonas Hildebrandt (eldoradio*)

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